Scorsese dreht einen neuen Film: Ein Portrait über den Regisseur
„Killers of the Flower Moon“ – was wie ein Filmtitel klingt, ist genau das. So nämlich lautet der Titel des neuen Western-Thrillers, an dem Martin Scorsese tatsächlich schon seit über 1,5 Jahren dreht. Unter dem Radar schwamm der Streifen bislang deshalb, weil außer einigen Hauptdarstellern kaum etwas darüber bekannt ist. Doch weil der Film eventuell sogar noch dieses Jahr, vermutlich aber doch zumindest Anfang 2022 erscheinen soll, dachten wir, dass es einmal Zeit für ein Portrait wird. Ein Portrait über einen der größten, noch lebenden US-amerikanischen Regisseure überhaupt.
Eins steht fest: Scorseses neuer Film kommt
Obwohl „The Irishman“ noch recht deutlich nachhallt, dreht Martin Scorsese bereits an seinem neuen Film. Und das nicht erst seit gestern. Die Dreharbeiten zu „Killers of the Flower Moon“ begannen vermutlich schon Anfang 2020 oder gar im Jahr 2019. Denn gegen Ende des Frühjahrs 2020 kamen eindeutige Informationen an die Öffentlichkeit, dass ein neuer Film in der Mache sei.
Die beiden wichtigsten Darsteller dürften zwei von Scorseses absoluten Lieblingsschauspielern sein: Robert De Niro und Leonardo DiCaprio. Ganze fünf Mal arbeitete Scorsese bereits mit Leonardo DiCaprio zusammen – unter anderem bei „Departed“ oder natürlich auch „The Wolf Of Wall Street“. Mit Robert De Niro drehte Scorsese tatsächlich sogar schon neun Mal zuvor. Man denke etwa an den Klassiker „Taxi Driver“ oder an „Casino“, der neben einigen anderen Filmen zum Thema, als einer der besten Glücksspielfilme aller Zeiten gilt. Oder eben neuerdings auch an „The Irishman“.
Ungewöhnlich ist, dass Scorsese für „Killers of the Flower Moon“ nicht mit einem Hollywood-Studio, sondern stattdessen mit Apple zusammenarbeitete. Trotz allem soll der Thriller mit Western-Charakter noch vor dem Streaming auf Apple TV+ auch im Kino zu sehen sein. Wann allerdings genau, das steht noch in den Sternen. Manch einer hofft noch auf einen Release 2021, die Chancen für Anfang 2022 stehen allerdings deutlich höher.
Die Handlung des Films wird auf dem Land amerikanischer Ureinwohner in den 1920er Jahren in den USA stattfinden, auf dem Ölvorkommen gefunden wurden. Anfangs profitieren die Ureinwohner davon, doch es mehren sich Todesfälle und die Öl-Rechte gehen nach und nach in die Hand des weißen Farmers William Hale (Robert De Niro) über. Leonardo DiCaprio wiederum spielt Hales Neffen, Ernest Burkhart. Jener liebt zwar seinen Onkel, er erkennt allerdings auch dessen teuflische Machenschaften und gerät in ein moralisches Dilemma.
Ein Vertreter des New Hollywood
Martin Scorseses Schaffen und seine Filmkunst in einem Beitrag zu erläutern, der nicht zu einem mehrseitigen Essay ausufert, ist keine leichte Aufgabe. Startet man dennoch einen Versuch, kommt man wohl kaum umhin, ihn filmgeschichtlich zunächst einmal einzuordnen. Hier kann zumindest klar gesagt werden, dass Scorsese dem „New Hollywood“ zuzurechnen ist. Unter diese Bezeichnung fallen diverse Filme, die ab 1967 entstanden. Sie wollten und konnten das traditionelle Hollywood-Kino formal und inhaltlich ablösen und modernisieren. Und halfen ihm damit aus einer Krise, die sich seit den 50er Jahren beobachten ließ und in deren Zuge das Kino immer mehr Besucher:innen ans Fernsehen verlor.
Das „kinofenster“, ein filmpädagogisches Projekt der Bundeszentrale für politische Bildung (bpb), erklärt prägnant, worum es den Regisseuren des Genres in der Regel ging:
„Ihre Filme waren geprägt durch Gesellschaftskritik, die Bevorzugung von Originalschauplätzen, den Mut zur Thematisierung und Darstellung von Sex und Gewalt, filmästhetische Experimente sowie den Bruch mit Publikumserwartungen und Genrekonventionen.“
Neben Scorsese lassen sich viele weitere bekannte Regisseure, darunter etwa auch Francis Ford Coppola („Der Dialog) oder William Friedkin („Der Exorzist) zum New Hollywood zählen. Doch deren Erfolg dauerte kürzer an als von vielen erhofft.
Mitte bis Ende der 1970er Jahre feierten nämlich Filme große kommerzielle Erfolge, die wieder stärker formelhaft funktionierten. Sie waren vor allem auch wieder weniger der Kontrolle der Regisseure, sondern mehr jener der Produzenten:innen unterworfen. Man denke hier etwa an Steven Spielbergs „Der weiße Hai“ oder natürlich auch die Star-Wars-Saga von George Lucas.
Der American Dream und seine Schattenseite
Martin Scorseses Filme zeichneten sich von Anfang an dadurch aus, dass sie etwas Persönliches zu haben schienen. Das bereits erwähnte Formelhafte, das vielen Hollywood-Produktionen anhing, fand sich bei Scorsese nie. Er schrieb die Drehbücher selbst (oder wirkte zumindest stark an ihnen mit) und verarbeitete mit ihnen Themen, die ihn wirklich umtrieben. Es ging ihm darum, die Zuschauer:innen in den Kinosälen zu bewegen, mitzureißen und aufzurütteln. Ihnen die Probleme und Themen, die Scorsese beschäftigten, so präzise wie möglich vor Augen zu führen.
Sein größtes Thema war im Großteil seiner Filme dabei sicherlich der amerikanische Traum. Seit Anfang des 20. Jahrhunderts etwa gibt es das Narrativ des American Dream in den Staaten. Gemeint ist damit immer die Vorstellung, dass „jeder es schaffen kann, wenn er nur hart dafür arbeitet“. Im Deutschen veranschaulicht der Ausdruck „Vom Tellerwäscher zum Millionär“ diese Gesinnung wohl am besten.
Martin Scorsese, der in einem längst verschwundenen Little Italy von New York aufwuchs, kam früh mit diesem American Dream in Berührung. Er sah die Unterschiede zwischen Menschen, die in ghettoisierten Stadtteilen der Megametropole aufwuchsen und jenen der Upper Eastside, die ihr Geld in teure Ladengeschäfte brachten und in feinen Restaurants verkehrten. Diese Diskrepanz und der Versuch unzähliger Menschen „von unten nach oben“ zu kommen, wurde schnell zu Scorseses Hauptinteresse.
Weniger allerdings interessierten ihn von Anfang an die makellosen Erfolgsgeschichten – von denen es sicherlich auch etliche gab. Der Reiz lag für ihn auf der Schattenseite des American Dream. Scorsese ging es – und darum geht es eigentlich auch heute in seinen Filmen oft noch – immer um Individuen, die schnell reich werden wollen, ab einem gewissen Punkt aber scheitern. Oder die es auf legalem Wege nicht schaffen und dann in die Kriminalität abdriften. Dass New York für diese Thematik seine ganze Karriere hindurch der perfekte Schauplatz war und blieb, ist ebenfalls kaum verwunderlich. Denn die Charaktere, die er hier kennenlernen konnte und die Mechanismen der Gesellschaft und des Verbrechens, die sich auf sie und ihr Umfeld auswirkten, sind wohl die beste Inspirationsquelle, die man sich vorstellen könnte.
New York – Schauplatz der Gewalt
Das beschriebene New York ist Schauplatz der meisten Filme Scorseses. Seien es sein Debutfilm „Wer klopft denn da an meine Tür?“, der erste bekannte Gangsterfilm des Regisseurs, „Hexenkessel“ oder natürlich „New York, New York“, „The King of Comedy“, „Goodfellas“ oder auch „The Irishman“ – sie alle siedelte Scorsese in „seiner“ Stadt an. Und er machte diese Stadt, mit ihrem Atem, ihren schmutzigen Seiten und ihrem gleichzeitig so bunten und niemals ruhenden Treiben eben auch irgendwo zu einer Art Hauptdarsteller.
Doch in wohl keinem anderen Film kommt New York und die Wirkung dessen düsterer Seiten auf die Menschen der Stadt so präzise rüber, wie in „Taxi Driver“. Mit dem heute als absolutem Kultfilm geltenden Streifen, in dem – wie könnte es anders sein – der damals erst 36-jährige De Niro die Hauptrolle übernimmt, schrieb sich Scorsese für immer in die Filmgeschichte ein.
Was „Taxi Driver“ bis heute immer noch so großartig macht, ist die Art und Weise, wie Scorsese es schafft, uns am Leben des Taxifahrers Travis Bickle teilhaben zu lassen. Dieser, angewidert vom „Schmutz“ der Stadt, von dem Dreck und Abschaum, der sich in den Gossen herumtreibt, driftet aber in die Gewalt. Enttäuscht von Frauen, die ihn abweisen, einer Politik, die nicht das umsetzt, was er sich erhofft und von vermeintlichen Ungerechtigkeiten an jeder Ecke, beginnt er, durchzudrehen. Er legt sich eine Waffe zu und scheint Senator und Präsidentschaftsbewerber Palantine umbringen zu wollen. Auch der Plan, eine jugendliche Prostituierte (gespielt von Jodie Foster UND ihrer Schwester!) ihrem Milieu zu entreißen, nimmt konkretere Formen an.
Trotz der Abneigung, die man Bickles extremen Anwandlungen und seiner Entwicklung gegenüber empfinden mag, schafft Scorsese es doch auch, dass sich die Zuschauer:innen immer wieder stark mit Bickle identifizieren. Auch wir erkennen die Ungerechtigkeiten, die Bickle als solche wahrnimmt, auch wir leiden mit ihm mit und wollen, das alles besser wird. Und auch wir sehen ein New York, in dem sich etwas ändern sollte, bevor die Stadt zu einem Moloch aus Kriminalität und Gewalt wird. Problematisch wird es nur dann, wenn man selbst der Versuchung erliegt oder sich von der Ausweglosigkeit einnehmen lässt und Teil der Spirale wird. Genau das schafft Scorsese in 114 Minuten so eindrücklich zu zeigen, wie man es wohl nur zeigen könnte.
Dieser Blick auf New York, in dieser oder zumindest ähnlicher Form, zieht sich bei Scorsese schließlich durch bis in die Gegenwart. Obwohl man sich an dem Schauplatz durchaus satt sehen könnte, schafft der Regisseur es doch immer wieder, neue und interessante Geschichten von oft einsamen, verlorenen Individuen zu erzählen. Umso spannender dürfte dennoch sein, dass Scorsese für „Killers of the Flower Moon“ doch noch einmal seinen Lieblingsschauplatz verlässt. In Osage County, Oklahoma, wird der Film angesiedelt sein. Man darf also auch auf die Kulissen mehr als gespannt sein. Dass der Film wieder ein kleines Wunder werden wird, daran zumindest besteht kaum Zweifel.